Vom Frontsoldaten zum Flüchtling

 

 

DATTELN. Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert die „Dattelner Morgenpost“ an die jüdische Familie Goldberg, die in Datteln lebte und 1935 in die USA flüchtete.

 

Von Sebastian Balint, Dattelner Morgenpost, 27. Januar 2021

 

Der Kaufhausbesitzer David Goldberg diente von 1914 bis 1918 als Frontsoldat des Deutschen Heeres im 1. Weltkrieg. David Goldberg sei ein stolzer Deutscher gewesen, berichtet Enkel Alan Hoffstadter (75) im Gespräch mit unserer Redaktion, „zumindest bis zur Machtübernahme durch die NSDAP“. Die Goldbergs wohnten auf der Carl-Gastreich-Straße Nummer 5, das Kaufhaus der Familie befand sich am Tigg. Heute erinnern sechs Stolpersteine vor dem Haus an die Familie.

 

David Goldberg und seine erste Frau Emmi betrieben gemeinsam das Kaufhaus am Tigg. Sie kümmerte sich um Einkäufe, Lagerbestände und volle Regale im Geschäft, er kümmerte sich um die Buchführung. Das Paar hatte drei gemeinsame Kinder: Berta, Hans und Charlotte.

 

Alan Hoffstadter erinnert sich, dass seine Mutter Charlotte das Leben in Datteln vor der Machtergreifung durch die Nazis stets als „idyllisch“ beschrieben hat. Sie habe von Apfel- und Birnenbäumen und von Stachelbeeren im Garten des Hauses an der Carl-Gastreich-Straße erzählt. Obwohl sie Jüdin war, besuchte sie die katholische Schule in Datteln. Dort brachten die Nonnen ihr bei zu nähen, „was sie nicht besonders mochte“, berichtet Sohn Alan Hoffstadter.

 

Charlotte Goldberg mußte die Schule verlassen

 

Der Bierkeller-Putsch von 1923 habe seinen Großvater David das erste Mal aufschrecken lassen, berichtet Alan Hoffstadter. Ob die Entwicklung im Land nach der Machtergreifung durch die Nazis letztendlich ausschlaggebend war, das konnte nie sicher geklärt werden, aber Emmi beging am 17. Juni 1933 Selbstmord – zehn Tage nach dem 14. Geburtstag ihrer Tochter Charlotte.

 

Und auch sie bekommt zunehmend zu spüren, was es bedeutet, als Jüdin in Nazi-Deutschland zu leben. Charlotte musste die katholische Schule verlassen. Sie war dort plötzlich nicht mehr willkommen. Der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte war es dann wohl, der David Goldberg veranlasste, sich mit einem telegrafischen Hilferuf an seinen Bruder Leo in Chicago zu wenden. Leo hatte das Land bereits 1923 verlassen. Ein Jahr dauerte es, bis David Goldberg einen Platz auf der SS Washington für seine Tochter Charlotte ergattern konnte. Neun Tage dauerte die Überfahrt der damals 15-jährigen, bis sie in den USA ankommt und in Sicherheit ist.

 

David Goldberg, der ab 1928 Vorsteher der jüdischen Synagoge am Türkenort in Datteln war, muss das Kaufhaus am Tigg im Jahr 1935 aufgeben. Im August desselben Jahres verlässt auch er das Land. Seiner zweiten Ehefrau Hedwig, die er nach dem Tod von Emmi geheiratet hatte, gelingt es nicht, das Land rechtzeitig zu verlassen. Sie wird 1942 nach Riga deportiert und stirbt am 9. August 1944 im KZ Stutthoff.

 

Die USA nahmen keine jüdischen Flüchtlinge auf

 

Die USA hätten damals keine jüdischen Flüchtlinge aufgenommen, erklärt Alan Hoffstadter, außer man konnte nachweisen, Verwandte in den Staaten zu haben. „Glücklicherweise war mein Onkel Leo schon dort“, sagt Alan Hoffstadter.

 

In der Familie sei früher nicht oft über Deutschland gesprochen worden, sagt Alan Hoffstadter. Seine Mutter habe sich oft mit seiner Tante Berta auf Deutsch unterhalten und gemeinsam mit ihr deutsche Lieder gesungen, erinnert er sich. Doch eine Zeitlang schien es so, als habe ihr Leben erst in den USA so richtig begonnen, „alles davor war nur ein schwarzes Loch in ihren Erinnerungen“, sagt Alan Hoffstadter.

 

Die Perlen der Stadt

 

Dattelner Stolpersteine