Kinderpalliativzentrum Datteln

 

 

Mit ihren acht Patientenzimmern ist die Abteilung Pädiatrische Palliativmedizin der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln nicht besonders groß. Dennoch erstreckt sich ihr Einzugsbereich auf die ganze Bundesrepublik, weil sie sich spezialisiert hat auf extrem seltene Krankheiten. Und in Deutschland sind auf Kinder spezialisierte Palliativstationen selten. Auf der Webseite des Deutschen Kinderhospizvereins werden neben Datteln nur drei weitere Kinderpalliativstationen genannt: das Kinderpalliativzentrum München, die Kinderpalliativstation „Insel Tobi“ in Mönchengladbach und das Kinderpalliativzentrum Göttingen. Die Stationen sind in ein Krankenhaus integriert und bieten die Möglichkeit, Kinder und Jugendliche stationär aufzunehmen, wenn die optimale Versorgung zu Hause auch mit Unterstützung eines Spezialisierten Ambulanten Pädiatrischen Palliativ-Versorgung-Teams akut nicht möglich ist.

Die Aufnahme in einer Kinderpalliativstation erfolgt meist aufgrund einer Krisensituation, die im Verlauf der Erkrankung auftritt. Im Rahmen einer Art Krisenintervention werden neue oder sich verschlimmernde Symptome behandelt, Therapien neu eingestellt. Ziel des Aufenthaltes ist es, die Kinder und Jugendlichen wieder zu stabilisieren, so dass sie nach Hause zurückkehren und an den Aktivitäten eines geregelten Alltags- und Familienlebens teilnehmen können. Aber auch in der letzten Lebensphase werden Kinderpalliativstationen in Anspruch genommen.


Im September 2019 hatte das Gebäude des Kinderpalliativzentrums Datteln noch zwei Stockwerke.

Im Oktober 2022 präsentiert sich das

Kinderpalliativzentrum Datteln mit neuem Obergeschoss.


 

Eine wegweisende Einrichtung: Leid lindern – Leben gestalten!

 

Das Kinderpalliativzentrum Datteln wurde im Juni 2010 eröffnet. Es befindet sich in einem dreistöckigen Anbau, der sich im Osten an die Vestische Kinder- und Jugendklinik anschließt. Die Aufstockung des Gebäudes um ein drittes Obergeschoss – mit Fördermitteln des Landes NRW in Höhe von 6,5 Mio. Euro - ist fertiggestellt, dort wurde u.a. ein kleiner Operationssaal eingerichtet, in dem notwendige chirurgische Eingriffe vor Ort vorgenommen werden können, ohne die Patienten auf belastenden und risikoreichen Transporten in Nachbarkliniken (v.a. Herne und Münster) verlegen zu müssen. Die Klinik zieht dazu Experten wie Anästhesisten und Chirurgen kooperierender Kliniken hinzu. Aufgabe dieses neu geschaffenen - europaweit einzigartigen - Kompetenzzentrums ist es, die Versorgung von jungen Menschen mit schweren seltenen Erkrankungen zu verbessern, die Ausbreitung von Krankenhauskeimen zu bekämpfen und als Leuchtturmprojekt auch den Gesundheitsstandort NRW zu stärken.

 

Im Oktober 2022 wurde die dritte Etage des Kinderpalliativzentrums Datteln fertiggestellt und dort das OP-Zentrum „LichtHafen“ eröffnet.

 

Die Idee eines Kinderpalliativzentrums entstand im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, weil die häusliche Palliativversorgung immer wieder an Grenzen kam und es in Deutschland damals keine Palliativstation für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gab. Nach einer Planungsphase von nur zweieinhalb Jahren konnte Ende 2008 Dank der großzügigen Unterstützung der Stiftung Deutsche Krebshilfe, der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, der Stiftung RTL-Wir helfen Kindern mit der langjährigen Patin Inka Bause und vieler weiterer kleinerer Stiftungen, Unternehmen und privater Unterstützer der erste Spatenstich durch den Gesundheitsminister des Landes NRW, Karl-Josef Laumann, erfolgen. Schon im September 2009 wurde zusammen mit der Bundesgesundheitsministerin Ursula Schmidt Richtfest gefeiert. Die feierliche Eröffnung im April 2010 leitete der Münsteraner Bischof Felix Genn, der das Haus auch segnete. Bereits zwei Monate später wurden die ersten Patienten auf die pädiatrische Palliativstation Lichtblicke aufgenommen.

 

Seitdem werden in Datteln durch das interdisziplinäre Team unter Leitung von Prof. Dr. Boris Zernikow Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensbedrohlichen bzw. lebenslimitierenden Erkrankungen und deren Familien stationär und ambulant begleitet. Zu diesem Team zählen Vertreter verschiedener Fachrichtungen: Mediziner, Pflegende, Psychologen, Pädagogen, Krankengymnasten, Seelsorger, Therapeuten und Sozialarbeiter. Da im Mittelpunkt der Palliativmedizin stets das Bemühen um Symptomkontrolle und bestmögliche Lebensqualität für den Patienten und seine Familie steht, erfahren die behandelten Patienten eine jeweils auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes ausgerichtete individuelle Versorgung.

 

 

Heute besteht das Kinderpalliativzentrum Datteln aus den folgenden Bereichen:

  • der Kinderpalliativstation „Lichtblicke“: sie war die erste pädiatrische Palliativstation in Deutschland und gewährleistet mit ihren acht Einbettzimmern eine umfassende Symptomkontrolle, palliativpflegerische sowie die psychosoziale Versorgung und Beratung. Pro Jahr können ungefähr 200 Kinder aufgenommen werden. Seit Jahren ist die Station voll belegt.

  • dem OP-Zentrum „LichtHafen“ auf dem Dach des Palliativzentrums: es soll schwerkranken Patienten Strapazen ersparen. Die Idee ist innovativ: Den schwerkranken Patienten bleibt der belastende Transport zum anderen Krankenhaus erspart, das kranke Kind muss nicht zum Chirurgen verlegt werden, sondern die Ärzte für Anästhesie und Chirurgie reisen zum kranken Kind. Die Kinder werden vor und nach der Operation im vertrauten Umfeld von ihnen bekannten Menschen betreut, die Familie bleibt im gewohnten Umfeld der Kinder- und Jugendklinik. Die Versorgung vor und nach der Operation kann so ohne Unterbrechung weitergeführt werden. Dabei setzt die Kinderklinik auf bewährte, schon lange bestehende Kooperationen mit anderen Kliniken sowie neu hinzukommende Partner, die den Operationsbetrieb in Datteln gestalten.

  • der Spezialisierten Ambulanten Pädiatrischen Palliativ-Versorgung (SAPPV): sie betreut die Familien zu Hause und ist eng mit der Kinderpalliativstation verbunden. Laut Gesetzgebung hat jedes Kind und jeder Jugendliche mit einer lebenslimitierenden Erkrankung Anspruch auf diese Versorgung.

  • einem kinderpalliativmedizinischen Konsiliardienst: diese fachärztliche Beratung betreut die Krankenstationen der Vestischen Kinder- und Jugendklinik, unter anderem bei Fragen der Überleitung nach Hause oder ins Kinderhospiz sowie bei ethischen Fragestellungen.

  • dem Forum für Familie und Fortbildung (FFF): im Obergeschoss können die Familien während des stationären Aufenthaltes ihres erkrankten Kindes ein eigenes Appartement nutzen. Außerdem werden hier qualifizierte Seminare und Workshops für Mitarbeiter aus den Bereichen Pflege, Medizin und psychosozialer Versorgung angeboten. Zudem veranstaltet das Palliativzentrum mit dem Team des Deutschen Kinderschmerzzentrums alle zwei Jahre die Dattelner Kinderschmerztage, einen Vierländerkongress für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativversorgung.

  • der Forschungsabteilung: zur Qualitätssicherung wird die Patientenversorgung durch Forschungsprojekte der Universität Witten/Herdecke begleitet.

 

Für Patienten mit lebensbedrohlichen bzw. lebenslimitierenden Erkrankungen

 

Es gibt auch deshalb so wenige Kinderpalliativzentren in Deutschland, weil die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit lebensbedrohlichen bzw. lebenslimitierenden Erkrankungen glücklicherweise nicht sehr groß ist.

 

- In Deutschland leben schätzungsweise 60.000 Kinder und Jugendliche mit einer lebensbedrohlichen oder -limitierenden Erkrankung. -

 

Einen Großteil der Versorgung übernehmen meist die Eltern der Kinder, sie stehen damit vor großen Belastungen körperlicher, seelischer und sozialer Art. Viele der Patientenfamilien werden über Jahre begleitet – sei es zuhause oder stationär in der Station „Lichtblicke“. Indem die leidvoll empfundenen Krankheitssymptome des Patienten behandelt werden und für das seelische Wohl der Familie gesorgt wird, legt die Kinderpalliativversorgung mit umfassenden Angeboten einen schützenden Mantel (lat. pallium „Mantel“) um das erkrankte Kind und seine Familie. Dabei gehören möglichst kurze kind- und familiengerechte Krankenhausaufenthalte ebenso zu den Grundsätzen der Kinderpalliativversorgung wie eine optimale spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im häuslichen Umfeld.

Damit dieses „normale Alltagsleben“ möglich ist, ist es Aufgabe der Kinderärzte und Pflegenden, die Kinder bei ihren stationären Aufenthalten einzustellen und soweit es geht, von Schmerzen und anderen leidvollen Symptomen zu befreien. Die psychosozialen Mitarbeiter stärken die vorhandenen Ressourcen aller Familienmitglieder, entwickeln gemeinsam mit ihnen Strategien der Symptomkontrolle, zeigen Perspektiven auf und verhelfen so der gesamten Familie zu einem Höchstmaß an Lebensqualität. Die Patienten bekommen mit ihrer Hilfe die Gelegenheit sich auszudrücken, eigene Entscheidungen zu treffen, vom Plan abzuweichen und einfach Kind zu sein.

 

Patienten mit Krebserkrankungen zählen zu denen, die in Datteln versorgt werden, doch tritt diese Krankheit bei jungen Menschen nicht so häufig auf wie bei Erwachsenen. Zu den lebensbedrohlichen bzw. lebenslimitierenden Erkrankungen zählt man die Krankheiten mit einer geringen bzw. ohne eine realistische Hoffnung auf Heilung. Viele Erkrankungen in der pädiatrischen Palliativmedizin sind äußerst selten und treten vorwiegend im Kindesalter auf, oft auch deshalb, weil die Patienten das Erwachsenenalter nicht erreichen. Dazu zählen Stoffwechselstörungen (wie Mukopolysaccharidose), genetische Krankheiten (wie Muskeldystrophie Duchenne), schwerste Zerebralparesen, neurodegenerative Symptomkomplexe sowie schwere neurologische Defizite nach Unfällen oder aufgrund einer extrem frühen Geburt, die irreversibel sind und möglicherweise zu einem frühen Tod führen.

 

 

Anders als bei der Palliativversorgung von älteren Menschen, die vor allem am Lebensende über Tage bis Wochen notwendig ist, müssen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene oft über Jahre palliativ versorgt werden. Auch wenn sich die Behandlung über Jahre erstrecken kann, ist zumeist nicht die Heilung der Krankheit das Ziel der Behandlung, sondern eine wirksame Linderung leidvoller Beschwerden. Zu den Krankheitssymptomen, unter denen die Kinder leiden können, zählen sehr häufig Schmerzen, Unruhe, Atemnot, Krampfanfälle, Schlaf- und Bewegungsstörungen, Angst, Traurigkeit, Übelkeit und Erbrechen.

Selbstredend gehört es zu den Leitlinien der Palliativversorgung, dass die Behandlung individuell auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder und ihrer Angehörigen abgestimmt und so die bestmögliche Lebensqualität in Selbstbestimmung und Menschenwürde ermöglicht wird. Um dies auch außer Haus zu gewährleisten, bestehen enge Kooperationen mit der Kleinen Oase und dem André-Streitenberger-Haus in Datteln, dem Kinderhospiz Balthasar in Olpe und dem Brückenteam der Universitätskinderklinik in Münster.

 

Patientenzimmer und Elternappartment                                                                                                            (Fotos: Kinderpalliativzentrum Datteln)

 

Die Palliativstation „Lichtblicke“

Die medizinische Ausstattung der Dattelner Palliativstation „Lichtblicke“ bewegt sich auf dem technischen Stand einer Kinderintensivstation, dennoch haben die Räumlichkeiten nichts von der üblichen „sterilen“ Krankenhausatmosphäre. Die Station ist für die Patienten und ihre Familien ein Zuhause auf Zeit. Bei der Gestaltung der Räume spielen daher Licht, Formen und Farben eine ganz besondere Rolle.

Alle acht mit Holzmöbeln ausgestatteten Patientenzimmer sind nach Süden ausgerichtet und mit behindertengerechten Bädern ausgestattet. Breite Glastüren bieten Zugang zum geschützten Sinnesgarten, – auch mit Rollstuhl oder Bett. Im Wohnzimmer der Station können sich die Familien austauschen, gemeinsame Mahlzeiten einnehmen und bei verschiedenen Gruppenangeboten kreativ sein. Ein sogenannter Snoezelraum lädt zum Abschalten und Entspannen ein. In der oberen Etage des Kinderpalliativzentrums stehen für die Eltern und Geschwister fünf hell und freundlich eingerichtete Zimmer mit separatem Bad kostenfrei zur Verfügung. Im Familien- und Gästehaus in direkter Nachbarschaft stehen weitere Zimmer für sie bereit.

 

Der hochmoderne Operationsraum im OP-Zentrum "LichtHafen"

 

Das OP-Zentrum „LichtHafen“

„Das Besondere am über 1.000qm großen, hell und freundlich wirkenden Operationszentrum ist, dass von allen Seiten Sonnenlicht hineinscheinen kann – sogar in die Operationsräume! Auch bunte Bilder in blassen Pastelltönen und Farbduschen der Herdecker Künstlerin Andrea Behn an den Wänden und unter der Decke findet man hier. All das sorgt bei Kindern und Eltern für eine Atmosphäre, in der die Angst schwindet und die Zuversicht wächst“, erläutert Prof. Boris Zernikow, Leiter des Kinderpalliativzentrums, im Rahmen einer Führung durch das neugestaltete OP-Zentrum. Den Verantwortlichen war es wichtig, den Operationsbereich so menschlich wie möglich zu gestalten Zwei hochmoderne Operationsräume, ein Novum in Datteln und in dieser Form europaweit einzigartig, verbessern nicht nur die medizinische Versorgung der jungen Patienten entscheidend, auch der ganzen Familie wird so viel Stress erspart, wenn vor Ort operiert werden kann.

 

Maßgeblich möglich machten das ambitionierte Bauprojekt das Land NRW (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) mit einer Fördersumme von 6,5 Millionen Euro und der RTL-Spendenmarathon 2020 mit 1 Million Euro. Zahlreiche weitere Unterstützer, darunter der Rotary Club Recklinghausen und andere Unternehmen, Vereine und Privatleute haben tatkräftig mitgeholfen, dass der LichtHafen im Herbst 2022 seine Türen öffnen konnte.

 

 

Der "Freundeskreis Kinderpalliativzentrum Datteln e.V."

Das Kinderpalliativzentrum konnte nur dank der Unterstützung von Stiftungen, Unternehmen und privaten Spendern entstehen. Der "Freundeskreis Kinderpalliativzentrum Datteln e.V." unterstützt die Arbeit des Zentrums. Er wurde bereits im Jahr 2010 mit dem Ziel gegründet, die umfassenden Angebote des Kinderpalliativzentrums auf Dauer zu sichern. Denn auch wenn das Haus voll belegt ist, decken die Einnahmen nicht die laufenden Kosen. So sind z.B. alle psychosozialen Versorgungsangebote als auch Teile der medizinisch-pflegerischen Versorgung spendenfinanziert. Dies macht in etwa 20-30 Prozent der jährlichen Personalausgaben des Kinderpalliativzentrums aus. Hinzu kommen spendenfinanzierte Sachleistungen, die außerhalb der regulären Krankenhausfinanzierung angeschafft werden.

 

Und auch ohne die Unterstützung der Menschen, die sich als ehrenamtliche Helfer engagieren und einen Teil ihrer Zeit verschenken, wäre das Kinderpalliativzentrum schlicht ein anderer Ort, er wäre weniger lebendig und sicher weniger bunt!

 

Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens widmet die Dattelner Morgenpost dem Dattelner Kinderpalliativzentrum einen längeren Bericht. Wir dokumentieren ihn hier ...

 

Vestische Kinder- und Jugendklinik                            Die Perlen der Stadt