Fachwerkhäuser in Datteln

 

 

ZVM BAVEN BIN ICH GEDRVNGEN

GOTT SEY DANCK ES IST GVT GELVNGEN

 

Aus längst vergangenen Jahrhunderten sind sie oft die Einzigen, die ein beredtes Zeugnis über damalige Zeiten abgeben können: Inschriften an Wohnhäusern und Stallungen, mit denen unsere Vorfahren ihr Vermächtnis schnitzen ließen. Oft fromm, manchmal heiter oder melancholisch, geben sie Aufschluss über die damaligen Bauherr*innen, über ihre Beweggründe, Hoffnungen und Ängste.

 

Das klassische Fachwerkhaus: die dunklen Eichenbalken, die weißen Gefache, der obligatorische Sinnspruch im Balken über der tannengrünen Tenneneinfahrt, der mit Eichenbohlen verbretterte Giebel.

 

Bis ins 19. Jahrhundert war in Deutschland der auf Schwellbalken errichtete Fachwerkbau die am weitesten verbreitete Bauweise für Hochbauten. Der Lehm als Ausfachungsmaterial ließ sich einfach und kostengünstig vor Ort ausgraben, oft aus der Baugrube. Auch Holz war meist eher verfügbar als geeignete Steine und ließ sich vor allem leichter transportieren.

 

Zwei Arten der Verzimmerung lassen sich unterscheiden:

 

Zum einen der ältere Ständerbau, bei dem die Wandständer von der Schwelle bis zum Dachgebälk durchgehen und gleichzeitig die Seitenwände darstellen. Die älteren der Dattelner Fachwerkhäuser sind in dieser Bauweise errichtet. Die auf einem gemauerten Sockel errichteten Ständer waren durch waagrechte Balken, die so genannten Ankerbalken, miteinander verbunden. Die Ankerbalken dienten gleichzeitig als Auflage für die Deckenkonstruktion der einzelnen Geschosse. Als Versteifung dienten Schwertungen, diagonal über mehrere Geschosse verlaufende Verstrebungen, die von Ständer zu Ständer reichen. Je nach Anzahl der Ständer werden diese Bauten als Zwei-, Drei-, oder Vierständerbau bezeichnet. Allen gemeinsam ist das Sparrendach.

 


 

 

Zum anderen der jüngere Rähmbau oder Stockwerksbau, bei ihm werden Ständer verwendet, die nur die Höhe eines Stockwerkes besitzen. Die auf der Schwelle stehenden Ständer werden oben mit einem Rähm abgeschlossen. Auslöser dieser Weiterentwicklung, die sich im Dattelner Wohnungsbau Mitte des 19. Jahrhunderts durchsetzte, war vermutlich Holzmangel im Umfeld wachsender Städte. Doch auch der Wunsch nach kürzeren Bauhölzern, die leichter zu verarbeiten und zu transportieren sind, könnte die Entstehung der Rähmbauweise gefördert haben.

 


In der Anordnung der schrägen Hölzer kam es zu schmuckartigen Gestaltungen. Gestaltungsmöglichkeiten boten darüber hinaus geschnitzte Reliefs, Muster oder Inschriften.

 

 

In Horneburg stehen die schwarz-weißen Häuser mit den spitzen Giebeln dicht gedrängt.

 

Nirgendwo in Datteln ist die Fachwerkhausdichte größer als in Horneburg. „Etwa um 1400 wurde die Horneburg zu einer stark bewehrten Festungsanlage ausgebaut, der nach Süden und Osten hin eine halbkreisförmig angelegte Bürgeransiedlung, die Freiheit Horneburg mit 33 Haushalten, vorgelagert wurde.“ In der ehemaligen Freiheit stehen auch heute noch zahlreiche Gebäude aus dieser Zeit, alle im Fachwerkstil, die im wesentlichen im 18./19. Jahrhundert errichtet wurden.

 

In den 1990er Jahren hat die Denkmalschutzbehörde kurz darüber nachgedacht, das Ensemble dieser Freiheitshäuser als geschlossene Einheit unter Schutz zu stellen. Damals argumentierten die Mitarbeiter der Behörde so:

 

Denkmalbereich Horneburg: Bereich der ehem. Freiheit mit dem historischen Straßennetz und Fachwerkhäusern im wesentlichen des 18. und 19. Jahrhunderts (Horneburger Str., Schloßstr., Im Ort). Bis heute haben sich die charakteristischen Merkmale dieses bereits 1446 erwähnten, dem Schloss vorgelagerten Siedlungsgebietes, das ehemals durch einen Graben und mit dem Schlossbereich durch eine Wallanlage gegen äußere Angriffe geschützt war, erhalten (Straßennetz, giebelständige Fachwerkhäuser, Parzellenstruktur).

Das oben bezeichnete Objekt ist als einziger in der Stadt erhaltene historische Ortskern bedeutend für die Stadt Datteln. An der Erhaltung und Nutzung des Objekts als Denkmalbereich i.S. DschG besteht nach unserem jetzigen Kenntnisstand insbesondere aus wissenschaftlichen, wegen seiner Eigenschaft als ehem. Freiheit, volkskundlichen, wegen der hier in großer Zahl vertretenen ländlichen Bauweise und städtebaulichen Gründen, wegen seiner wichtigen Eigenschaft als Identifikationsobjekt, ein öffentliches Interesse.“

 

Aus dieser Idee wurde nichts. Stattdessen ließen sich lediglich besonders herausragende Objekte als Baudenkmäler sichern: Horneburger Straße 23, Horneburger Straße 28, Horneburger Straße 38, Horneburger Straße 46, Schloßstraße 3. Eines von ihnen ist das älteste Fachwerkhaus in Datteln. Das Haus Horneburger Straße 28 trägt im Balken über dem Deelentor die Jahreszahl 1659. Noch ältere Häuser im Ort zu finden, dürfte schon deshalb schwierig sein, weil der französische Marschall Henri de La Tour d'Auvergne, Vicomte de Turenne gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges am 25.07.1646 das Schloss und die Freiheit Horneburg niederbrennen ließ, um sich wegen eines Angriffes auf seine Nachhut zu rächen.

 

Aber auch in den anderen Ortsteilen der Stadt finden sich zahlreiche Fachwerkhäuser, sowohl als Ackerbürgerhäuser in der Innenstadt als auch als Bauernhöfe, Stallungen und Backhäuser in den Bauerschaften.

 

In die Denkmalliste der Stadt Datteln aufgenommen wurden die Häuser:

 

am 27.03.1985 Marktstraße 8 – zweigeschossiges traufenständiges Wohnhaus 1855

 

am 27.03.1985 Horneburger Straße 38 - Fachwerkgiebelhaus 1723

 

am 06.05.1985 Pahlenort 1 – Fachwerkgiebelhaus 1766

 

am 06.05.1985 Türkenort 7 – zweigeschossiges Wohnhaus 1771

 

am 06.05.1985 Tigg 2 – Gaststätte Köster; ehemaliges Bürgerhaus (19. Jh.)

 

am 06.05.1985 Tigg 5 – zweigeschossiges Bürgerhaus 1743

 

am 12.11.1986 Recklinghäuser Straße 22 – Bauernhaus Schulze-Ahsen 2. Hälfte des 19. Jhs.

 

am 29.06.1990 Hohe Straße 27 – Geschäftshaus 2. Hälfte des 19. Jhs. (ca. 1870)

 

am 24.01.1991 Im Wehling 18 – Speicher 2. Juni 1826

 

am 15.10.1991 Horneburger Straße 23 - Wohnhaus von 1771, umgewandelt 1820 zu einem Wohnhaus mit landwirtschaftlichem Betrieb

 

am 25.04.1994 Neuer Weg 132a – Vierständerbau, Bauernhaus 06. Juli 1773

 

am 25.04.1994 Hubertusweg 10 – Kötterhaus, undatiert 19. Jh.

 

am 25.04.1994 Schloßstraße 3 - Fachwerktraufenhaus aus dem 2. Viertel des 19. Jhs.

 

am 06.05.1994 Horneburger Straße 46 – Fachwerkgiebelhaus 18. Jh.

 

am 25.09.1997 Markfelder Straße 51 – Bauernhaus 27. Oktober 1800

 

am 30.12.1997 Horneburger Straße 28 - Fachwerkgiebelhaus 1659

 

am 06.07.2001 Recklinghäuser Straße 1 – Handwerkerhaus mit landwirtschaftlichem Nebenbetrieb 1781

 

am 20.06.2007 Marktstraße 4 – Wohn- und Geschäftshaus 1744

 

Uferweg18

Inschriften: eine Mischung aus Baudokumentation und Sinnspruch

 

Über viele Jahrhunderte hinweg zählten Hausinschriften zum festen kulturellen Bestand und Brauch unserer Region. Zudem gehören sie zu den wenigen schriftlichen Zeugnissen aus der bäuerlichen Welt des 16.–18. Jahrhunderts. Die „hohe Zeit“ der Hausinschriften im ländlichen Raum bildeten die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, das 18. Jahrhundert und die ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts. Volks- wie sprachkundlich sind sie von besonderem Interesse, (kultur-)geschichtlich und genealogisch sind sie bedeutsam.

 

1. Oft wissen die heutigen Hausbesitzer nur durch die Inschriften im Balken über dem Tennentor, wann die eigenen „vier Wände“ hochgezogen wurden – die Inschrift spielt die Rolle eines dauernd ausliegenden Geschichts- und Familien-Stammbuches. Denn vielfach nutzten die Erbauer die Gelegenheit, ihren Namen und das Jahr der Erbauung der Nachwelt zu überliefern.

 In der Regel nennt die Inschrift eine Jahreszahl. Die frühen Bauinschriften beschränkten sich auf die Angabe des Baujahres und fungierten damit als eine Art Bauurkunde. Zwei Beispiele: Marktstraße 4: 1744 A B bzw. Dahlstraße 24: Den 20 Juli 1725. Später wurden auch die Namen des/der Erbauer angeführt, oft auch der Name des verantwortlichen Zimmermannes. Mit solchen Inschriften wollten sich die Erbauer (und ggf. auch der Zimmermann) ein Denkmal setzen. Sie dienen der Nachwelt heute nicht selten (auch) als genealogischer Nachweis.

 

 Horneburger Straße 42

PAX VOBIS

FRANTZ HENRICUS ELFERT UND ANGELA STENMAN GENANT ELFERT

EHLEUT DEN 2 TEN JVLIVS ANNO 1805 M J TALM

 

Seltener ist die Form des Chronogramms. Als Chronogramm bezeichnet man gemeinhin eine Inschrift, die in verschlüsselter Form das Baujahr übermittelt. Im klassischen Chronogramm ergibt jeder Buchstabe, der im Lateinischen eine Ziffer bedeutet, einen Zahlenwert. Die am Anfang dieses Beitrags stehende Hausinschrift

 Hagemer Kirchweg 95

ZVM BAVEN BIN ICH GEDRVNGEN

GOTT SEY DANCK ES IST GVT GELVNGEN

 

ist übrigens das einzige Chronogramm in Datteln, es enthält das Baujahr 1778 (1×M = 1000, 1×D = 500, 2×C = 100, 1×L = 50, 5xV = 25, 3×I = 3). Vielen gelten solche Chronogramme als besonders gelehrt und kunstvoll, weil sie eine besondere sprachliche Gewandtheit voraussetzen, vgl. hier den Endreim.

 

2. Zudem geben die Zeichen am Hause, wie z.B. Schmuck, Symbole, Marken, hin und wieder Auskunft über den verantwortlichen Zimmermann.

 

3. Diese Inschriften gewähren wichtige Einblicke in das Denken und den Glauben der ländlichen Bevölkerung jener Jahre. Nichts spiegelt das zeittypische, archaische Selbstverständnis und die damals jenseitsorientierte Lebenseinstellung der Bauherren besser wider als die Haussprüche. Denn aus vielen spricht eine tiefe Gottgläubigkeit, so findet sich das Christogramm in der Form IHS, die Buchstabenkombinationen für Maria und ISP für Joseph. Und sie berichten uns über das, was die Menschen damals bewegt, was ihr Denken und Handeln geprägt hat: allgemeine Weisheiten, Tugendsprüche, Neidsprüche, Schutzanliegen, Lobsprüche.

Schmiedestraße 4

Dem Charakter des Landes und seiner Bewohner entsprechend sind die Dattelner Hausinschriften meist von tiefem sittlichen Ernst getragen. Die allermeisten Spruchinschriften sind religiös geprägt, sie zeugen von Gottvertrauen und der Bereitschaft, sich Gottes Willen zu fügen. Dass diese Grundhaltung früher weit verbreitet war, belegen nicht nur Spruch-Formeln wie Wer auf Gott vertraut hat wohl gebaut (z.B. an mehreren Häusern in Ahsen), Gott gebe Glück zum neuen Haus (Markfelder Straße 51) oder Beide haben dises Hausz mit der Hülf Gottes neu auf erbaut lasen (Horneburger Straße 44). Sie zählen zu den häufigsten Haussprüchen im gesamten deutschsprachigen Raum.

 

Eine besonders großzüge Hausinschrift findet sich am Klauken-Hof, Natroper Weg 40:

 

THEODOR HERMAN DICKHEUWER GEBÜRTIG VON HUCKARDE IETZ KLOCKE MARIA AENGLA

KLOCKE EHLEUTE HABEN AUF GOTT VERTRAUET UND DIESES HAUS ERBAUET DURCH GOTTES

HÜLF HABEN WIR DIESEN BAU SO WEIT GEBRACHT DA VOR SEI IHME EWIG DANCK GESAGDT

O GOTT BESCHÜTZE UNS FERNER VOR SCHADEN UND UNGEMACH EHRE SEI GOTT UND FRIDE AUF

 ERDEN DEN MENSCHEN                                                                                DIE EINES GUTEN WILLEN SEIN

ANNO 1797                                                                                                                                                                                JBF NEISE

21 NOVEMBER                                                                                                                                                                                   ZM

 

Dieser Hausspruch enthält zwei weitere Gedanken, die sich auch in anderen Inschriften wiederfinden: der Wunsch nach Frieden und der Gedanke, um Gottes Schutz für den Neubau zu bitten, damit er nicht zu Schaden kommt durch Blitz und Donner, durch eine Feuersbrunst, durch Sturm und Hagelschlag.

 Der Wunsch nach Frieden prägt vor allem die frühen Inschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert; die Wirren des Dreißigjährigen (1618-1648) und des Siebenjährigen (1756-1763) Krieges hatten tiefe Spuren im Gedächtnis der Menschen hinterlassen:

PAX SIT HVIC DOMUI

ANNO: 1659 DEN 7 JVNY IHS

Horneburger Straße 28


BRINCKMAN EXOPTAT VT PAX SIT INTRA NTIBVS ET ASOLO TRINO ET VNO DEO

                SALVS      EXEVNTIBVS

       ANO 1766 DEN 19 YULIUS     GOT BEWAHRE DIeSeN BAU

BISZ DAS eS HON ALTeRTUM VeRGeHE IOHANNeS HeNDeRICHRUS

BRINCKMAN UND                                  ANNA CATARINA

IHSM                                                                              AUVERKAMP

Pahlenort 1


Das Bitten um Schutz findet sich auch in den folgenden Dattelner Hausinschriften:

HIER STEHE ICH AVF FRISCHEN GRVND VND

BITTE GOTT AVS HERTZEN GRVND DAS ER MICH

BEWAHRE FÜR FEÜERS BRVNST VND TEUFELS LIST

WEIL ICH GEBAVET VON EIN WAHRER CATHOLISCH CHRIST

IOHANNES WILHELMVS HAVFE

UND ANNA MARIA MIDELMAHUS G N H

ANNO 1773                        DEN 6 TEN JVLI

Neuer Weg 132a


J H H M

GOTT LOB ICH STEHE – WIEDER AUFS NEUE AN HEUTE            M J H

1799 DIES ERFREUEN SICH MIT MIR ALLE CHRISTEN LEUTHE     H

SO BITTE ICH O GOTT BEWAHRE DIES HAUS FÜR SÜND UND SCHAND

FÜR GEWITTER STURM WIND HAGELSCHLAG FEUER UND BRAND AM 17 JUNI

J H LUTHE                                                                             M BRINKMANN

MDCCIC                                                                                       EHELEUTHE

Hohe Straße 5


ANNO 1816 DEN 18 JUNI THEOR SIEMAN GENANT RENSMAN

ANNA MARIA LOBECK EHELEUTHE HABEN

AUF GOTT VERTTRAUET UND DIESES HAUS GEBAUT O HERR HEIMSUCHE DIESES HAUS UND WOHNUNG DREIBE

DAR VON ALLE BÖSE GEISTER KRANCKHEITEN FEUERSBRUNST

UND ALLES UNGELÜCKE LAS DEINE HEILIGE

ENGELEN BEI UNS WOHNEN DAS SIE UNS IN FRIEDEN BEWAREN UND DEIN GÖTTLICHER SEGEN BLEIBE

ALLE ZEIT BEI UNS        

Markfelder Straße 35


In eine ganz andere Richtung zielen zwei Hausinschriften, mit denen sich die Erbauer von den „sündhaften und gottlosen Entwicklungen der neuen Zeit“ abzusetzen versuchten und im Gegensatz dazu ihre eigene Gottgefälligkeit herausstreichen:

LIEBE VND TREV IST GANTS VORBEI MISGUNST

VERFOLGUNG HERSCHET AVFS NEV

DAN HOFFARTH BESITZET NVNMEHRO DIE WELLT

WOL DEM DER DA LEBET WIE GOTT ES GEFELT

JOHANNES WILHELMVS PATE VND

ANNA MARIA ENGEL SOBE GENAND PATE

HABEN DIESES HAVS DVRCH HÜLFE GOTTES AVFRICHTEN LASSEN

ANNO 1788                                                       DEN 22TEN APPRIL

Neuer Weg 139a


 

AN MISGUNST HADER UND NEID HAT MAN

CHEN EINE GROSE FRÜD. WIR HALTEN UNS AN GOT

TES SEGEN. AN MISGUNST IST UNS NICHT GELEGEN. WILH. TROTTENBERG MARIA CKRISTINA HENCKE WILH

ANNO 1820

Schloßstraße 4


Eine Liste der Fachwerkhäuser mit Hausinschriften findet sich  hier ...