Unvergessen

 

 

Dr. Hermann Grochtmann –

ehrenamtlicher Leiter des Dattelner Heimatmuseums

Dr. Hermann Grochtmann

Hermann Grochtmann – dieser Name ist in unserer Stadt gerade zum Synonym für Geschichtsschreibung geworden. Mit seiner unverwechselbaren Handschrift prägte er in den 1950er und 60er Jahren die Heimatkunde und Geschichtsforschung in Datteln; seriöse historische Forschung, solide Sammlungstätigkeit und der unermüdliche persönliche Einsatz trugen zur Verankerung eines Geschichtsbewusstseins in der Dattelner Bevölkerung bei. So ist es heute kaum vorstellbar, seinen Namen von dem Begriff Heimatgeschichte zu trennen. Sein Wirken lebt fort in den zahlreichen Aktivitäten, über die wir uns heute im Bereich der Heimatpflege und Stadtgeschichte freuen können.

 

Nachdem er Ostern 1939 als Lehrer an das Dattelner Gymnasium berufen worden war, hat er sich in den nachfolgenden Jahren mit der Stadt und der Region des Vestes Recklinghausen voll und ganz identifiziert: Datteln wurden ihm und seiner Familie zu einer echten Heimat, in der er eine Fülle von Aufgaben in der Archiv- und Heimatpflege übernahm. Für Datteln wurde Dr. Grochtmann zum Glücksfall, nicht nur in seinem Beruf als Pädagoge – Oberstudienrat am Städtischen Gymnasium, heute Comenius Gymnasium –, sondern mit seinen privaten Ambitionen als Historiker, Archäologe und Autor, denen sich ein reiches Feld bot. Mit ungeheurem Fleiß und ungeheurer Ausdauer sichtete der Altertums- und Heimatforscher wertvolles altes Schriftgut. Seine zahlreichen Aufsätze und Bücher machten ihn über den Kreis Recklinghausen hinaus bekannt, unter seiner Leitung wurde das Dattelner Heimatmuseum 1955 nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit wieder eröffnet, 1967 berief man ihn als Mitglied in die Historische Kommission Westfalen.


Hermann Grochtmann kam aus Ost-Westfalen. Geboren wurde er am 2. September 1897 in Spexard bei Gütersloh, Kreis Wiedenbrück. Das Leben – eingebunden in eine kinderreiche Familie – auf dem väterlichen Bauernhof prägten seinen Charakter: seine Wegbegleiter schätzten „seine stille, bescheidene, liebevolle und überzeugende Art, die Kraft seines Gemütes, seinen Fleiß, seine nimmermüde Hilfsbereitschaft“. (Dr. Werner Burghardt)

 

In seiner Kindheit hatten die familiären Verhältnisse von ihm verlangt, dass er sich als Gehilfe dem väterlichen Hof widmete, daneben erhielt er Privatunterricht. 1918, damals war Hermann Grochtmann 21 Jahre alt, kehrte er nach zweijähriger Dienstzeit im Westen verwundet aus dem Ersten Weltkrieg auf den elterlichen Hof zurück; dort setzte er zunächst seine Privatstudien fort, bevor er 1926 am Gymnasium Paulinum in Münster als Externer seine Reifeprüfung ablegen konnte. Anschließend studierte er bis 1932 abwechselnd in Köln und Berlin Griechisch, Latein, Geschichte und vergleichende Sprachwissenschaften. Schon während des Studiums und noch ein Jahr nach dem mit Auszeichnung bestandenen Staatsexamen unterrichtete er als Hilfslehrkraft an der Missionsschule Knechtsteden, damals noch nicht ahnend, dass er in späteren Jahren durch seine Arbeiten am Kloster Flaesheim auf andere Weise noch einmal mit Knechtsteden verbunden sein würde.

Nach seinem zweiten Staatsexamen arbeitete Hermann Grochtmann zunächst von 1934 bis 1938 an einer deutschen Schule in Sittard in Holland. Inzwischen war er im März 1937 an der Universität Köln mit dem Thema „Die niederländische Provinz Limburg im Deutschen Bund“ zum Dr. phil. promoviert worden.

 

... als Lehrer am Dattelner Gymnasium

Als 41jähriger kam Hermann Grochtmann am 1. April 1939 nach Datteln – am hiesigen Gymnasium unterrichtete er als Studienrat und später als Oberstudienrat die Fächer Latein, Griechisch und Geschichte. Er blieb hier bis zu seiner Pensionierung tätig und darüber hinaus noch stundenweise bis zu seinem Tode am 8. Mai 1968.

 

„Güte, Zuverlässigkeit und das Einhalten einer notwendigen Distanz zeichneten ihn aus.Sein Bemühen um menschliche Tugenden entsprach seiner Religion und seiner Bildung. Sein Leben lang blieb er ein liebenswerter, überaus bescheidener und zurückhaltender Mensch, der niemals überheblich oder ironisch wirkte. Eine seiner vielen positiven Eigenschaften war, Geduld zu haben, auf Antworten warten zu können und nie aus der Haut zu fahren. Er verlor nicht einmal seinen Humor.“ (Lieselotte Gerich, die von ihm unterricht wurde)

Für seine Schüler war Dr. Grochtmann immer nur HANNIBAL. Wurde er in der Ferne Gesichtet, hieß es „Hannibal ante portas“. Als Beispiel seines Humors wird die Geschichte rzählt, dass er einmal in einer Klassenarbeit den Satz übersetzen ließ: „Einer unserer Lehrer wird Cäsar, ein anderer Hannibal genannt.“ Sein Unterricht war vor allem darauf ausgerichtet, den Lernenden Hilfestellung zu geben, seine Schüler zu neuer, tieferer Einsicht zu begleiten. Es wird erzählt, dass er es verstand, auch den trockensten Lehrstoff aufzulockern und interessant zu gestalten, u.a. indem er souverän Querverbindungen schuf. Es wurde spannend und lebendig, weil er Gesamtzusammenhänge aufzeigte, z. B. aus der Musik, Mathematik, Geschichte und Religion, so dass „niemand auf die Idee kam, den Unterricht zu stören“.

„Immer war Dr. Grochtmann sorgfältig vorbereitet und trug, wenn er nicht gerade am Text arbeiten ließ, den Lehrstoff frei vor, bisweilen mehr wie ein Hochschul- als ein Gymnasial-Lehrer. Zwischenfragen konnten ihn nie aus der Ruhe bringen, noch verlor er den roten Faden. Er verkörperte Autorität, jeder respektierte ihn. Man kann Dr. Grochtmann als streng bezeichnen, er forderte etwas von den ihm anvertrauten jungen Menschen, er brachte sie aber dadurch wesentlich weiter voran, als sie das seinerzeit zu erkennen vermochten.“ (Lieselotte Gerich, 1997)

 

Kurz nachdem Hermann Grochtmann nach Datteln gekommen war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Da er zu den älteren Semestern zählte und bereits im Ersten Krieg gedient hatte, wurde er nicht erneut zum Dienst an der Waffe beordert. Gemeinsam mit seiner Kollegin Frau Elisabeth Jürgens hielt er in dieser Zeit die Verbindung zu den eingezogenen jungen Männern und Frauen aufrecht, die eingezogen worden waren. Zwischen 1939 und 1945 verfasste er zahlreiche lange Rundbriefe mit aktuellen Informationen aus dem Schulalltag und den neuesten Berichten der früheren Schüler an der Front. Nach Beendigung des Krieges, vor allem bis zur Wiederaufnahme des geordneten Schulbetriebs im Jahre 1946, bemühten sich beide um eine sinnvolle Eingliederung der Heimkehrenden in entsprechende Kurse oder Klassen. Aus seiner eigenen Erfahrung wusste er: Das waren junge Leute, die vorzeitig unfreiwillig erwachsen geworden waren und nicht mehr wie Schulkinder betrachtet werden konnten.

 

... als Dattelner Heimatforscher

Neben seiner Leistung als Lehrer ist seine langjährige fruchtbare und ergebnisreiche geschichtliche Forschertätigkeit zu rühmen. Zahlreiche heimatwissenschaftliche Aufsätze, Schriften und Bücher hat er verfasst: aus ihnen heraus ragen seine 1951 erschienene „Geschichte des Kirchspiels Datteln“, die 1955 veröffentlichte „Vor- und Frühgeschichte“ Datteln, das 1957 erchienene Buch „100 Jahre Amt Datteln“ und der 1966 Flaesheim gewidmete Sammelband „Zur 800-Jahrfeier“. Immer wieder hatte Hermann Grochtmann sich mit der Geschichte Flaesheims, seines Klosters und der romanischen Pfarrkirche beschäftigt. Seine Beiträge zeichnen sich durch wissenschaftliche Genauigkeit aus, die in ihren vorsichtig wertenden Ergebissen die Forschung jeweils ein Stück weiterführten.

Vorführungen am Webstuhl im Museum. Von links nach rechts: Heinrich Schulte-Althoff, Fritz Grote, Dr. Hermann Grochtmann.

Erklärung der Urnenfunde.


... als ehrenamtlicher Leiter des Dattelner Heimatmuseums

Zum Mittelpunkt im vielseitigen Engagement von Hermann Grochtmann wurde das Dattelner Heimatmuseum. Der Dorfschultenhof, 1936 zum erstenmal als Heimatmuseum eröffnet, kam durch den Zweiten Weltkrieg in eine Talsohle und wurde erst 1955 wieder eröffnet. Vieles trugen Dr. Grochtmann und sein eifrigster Mitarbeiter Lehrer i. R. Henrich Schulte-Althoff zusammen, was an historischen Gerätschaften und Gegenständen von Wert war. Nach Freiwerden weiterer Räume wurde neu eingerichtet, neu gesichtet und von dem „Hobby-Team“ in spezielle Abteilungen eingeordnet in Geologie, Paläontologie, Vor- und Frühgeschichte, Heimatgeschichte, Familiengeschichte in Datteln und Umgebung, kirchliche Kunstgegenstände, Münzen und vieles mehr. 1957 wurde Hermann Grochtmann offiziell zum ehrenamtlichen Leiter des Heimatmuseums berufen, Heinrich Schulte-Althoff wurde ehrenamtlicher Museumswart.

Dr. Grochtmanns wissenschaftliches Schaffen fand weit über Datteln hinaus große Beachtung. 1965 wurde er mit der Ehrenplakette der Stadt Datteln ausgezeichnet, im Februar 1967 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland für seine großen Verdienste um Geschichte, Kunst und Kultur verliehen. Er nahm diese Auszeichnung nicht als eine persönliche Auszeichnung an, sondern sah in ihr eine Ehrung für die Stadt Datteln.

Nach kurzer Krankheit starb Dr. Hermann Grochtmann am 8. Mai 1968. Noch im gleichen Jahr wurde ihm in Flaesheim, das damals noch zum Amt Datteln gehörte, eine Straße gewidmet. „Das Bild eines gütigen, bescheidenen Menschen wird bei denen in Erinnerung bleiben, die ihn kannten und mit ihm umgingen.“ (Dr. Werner Burghardt)

 

... als langjähriger Namensgeber des Dattelner Heimatmuseums

Seit 1969 lebte sein Name über viele Jahre fort im Dattelner Heimatmuseum, bis zur Schließung im November 2016, im Oktober 2017 hat der Dattelner Heimatverein, als deren Vorsitzender Dr. Hermann Grochtmann in den 1950er und 60er Jahren ebenfalls fungierte, angeregt, den Platz um den Dorfschultenhof in „Hermann-Grochtmann-Platz“ zu Ehren des treuen Dieners der Stadt Datteln umzubennen. Denn durch die grundlegenden Veränderungen rund um den Dorfschultenhof hat das Gebäude (heute: Genthiner Straße 7) leider seine Funktion als Heimatmuseum und den würdigen Namen „Hermann-Grochtmann-Museum“ verloren.

 

„Da für viele Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt der Name „Hermann Grochtmann“ zum Synonym für Geschichtsschreibung in Datteln geworden ist, ist es das Anliegen des Plattdeutschen Sprach- und Heimatvereins, dass sein Name nicht in Vergessenheit gerät und an prominenter Stelle im Stadtgebiet an ihn erinnert wird. Wir halten diese Stelle für geeignet, um an ihn und seine Bedeutung für die Stadt Datteln zu erinnern: durch die Benennung des Platzes zwischen Dorfschultenhof, Backhaus und Remise als „Hermann-Grochtmann-Platz“. Mit Hilfe eines kleinen Hinweisschildes am Straßenschild könnte auch auf Eckdaten seines Lebens und auf seine Bedeutung für die Stadt Datteln hingewiesen werden.“ (Aus der Begründung zur Anregung)